> Hinter den Kulissen von Truma

Campen soll digitaler, smarter und komfortabler werden

27.10.2020
Text: Lena Arndt & Christine Felsinger | Bild: Truma

Truma entwickelt gerade ein digitales Produkt, welches Campen smarter machen soll. Worum geht es? Wie stößt ein Familienunternehmen solche Innovationen an, wie profitieren Branche und Kunden? Wir haben uns in Putzbrunn bei München angesehen, wie Truma Werte und Wandel verbindet.

110 Trumaner, so nennen sie sich, arbeiten beim bayerischen Zubehörspezialisten im Bereich Research & Development (R&D). 110 Entwickler von Ingenieur bis Programmierer, das sind 17 Prozent der Gesamtbelegschaft. Was zeigt, dass Geschäftsführer Alexander Wottrich und Chief Technology Officer Christian von Sassen beim Thema Innovationen aufs Gas drücken. „In etablierten Unternehmen gibt es oft ganz viele eingeschliffene Mechanismen, die man nicht bemerkt, die aber Innovationen verhindern“, kommentiert Wottrich mit klug gewählten Worten den Status quo der Caravaning- und Camping-Branche. Er führt das Geschäft seit 2018 in dritter Generation. Und weiß, wie schwierig es sein kann, im Familienunternehmen Veränderungen durchzusetzen, wenn jede Entscheidung mit Emotionalität verbunden ist.

 

Truma-Geschäftsführer Alexander Wottrich
Foto: Truma

Trotzdem schreibt er Truma den stetigen Wandel als Leitlinie und Mindset auf die Fahne. Aber: „Ich bin ein großer Fan davon, wertzuschätzen, was bereits besteht. Ich will nicht alles neu machen, sondern Bestehendes weiterentwickeln“, betont Wottrich. Der Antrieb bei allem: der Kunde. „Bisher ist es Truma noch nicht gut genug gelungen, auf die Kunden einzugehen.“ Der Kundennutzen soll in Zukunft stärker in den Fokus der Produktentwicklung rücken. Dafür will Wottrich besser auf Vorschläge der OEMs reagieren und daraus schneller neue Lösungen entwickeln. Agilität ist das Stichwort. Wie setzt Truma das am Unternehmenssitz in Putzbrunn um und wie entstehen dabei Ideen für den Caravaning-Markt von morgen?

Es fängt bei den Büros an: Trumaner arbeiten flexibel, lean (also schlank) und projektorientiert. Die Büros im runden Verwaltungsgebäude und im Technik- und Innovationszentrum, dem Think Tank der 1949 gegründeten Traditionsfirma, sind brandneu, offen und mit unterschiedlichsten Rückzugs- und Meeting-Räumen voller Whiteboards und Bildschirme bestückt. Feste Arbeitsplätze gibt es nicht. So kommt man jeden Tag mit anderen Kollegen in Kontakt und schaut immer wieder über den Tellerrand der eigenen Aufgaben und Wände. Möglich macht das auch das flexible Bürokonzept der Firma Vitra, das authentisch ergänzt wird von  Holzhäuschen im Retro-Look, sogar ein echter Caravan der Marke Hobby steht mitten im Gebäude. „Das war eine Sonderanfertigung für uns“, sagt Entwicklungs-Chef von Sassen. „Es ist wichtig, dass die Mitarbeiter auch ohne eigenes Büro eine Heimat haben und abends wieder in ihr Team zurückkommen“.

Truma setzt am Standort Putzbrunn auf ein offenes, flexibles Bürokonzept mit gemütlichen Rückzugs- und Meeting-Räumen.

Lösungen entstehen in projektorientierten, crossfunktionalen Teams. Diese agieren nach dem Scrum-Modell und erarbeiten in Sprints iterativ Teillösungen. Die bis zu 20 Personen des Teams treffen sich täglich in sogenannten Dailies in Projekträumen, um den Projektfortschritt von Soll und Ist auf Whiteboards abzugleichen. Prototypen werden sehr schnell verprobt und  optimiert.

Dafür gibt es bei Truma die sogenannte Garage. In dem besonderen Kreativ-Lab basteln Teams aus Materialien wie Styropor oder Lego erste Modelle der Produkte von morgen, um ein haptisches Gefühl für Dimensionen, Gewicht und Bedienbarkeit zu bekommen. Beim Zubehör für Freizeitfahrzeuge steht schließlich immer die Frage im Raum: Geht es nicht auch kompakter, komfortabler und leichter? So nähern sich Prototypen nach dem Prinzip „fail early, fail cheap“ einem Minimal Viable Product an, um schneller als zuvor zum marktreifen Produkt zu gelangen.

Truma setzt am Standort Putzbrunn auf ein offenes, flexibles Bürokonzept mit gemütlichen Rückzugs- und Meeting-Räumen.
Foto: Truma
Christian von Sassen, Chief Technology Officer bei Truma
Foto: Truma

Die Ideen kommen direkt von Kunden

Ideen für weiterentwickelte und neue Produkte holt sich Truma dort, wo sie später auch gut ankommen sollen: direkt vom Kunden. „Wir fragen uns: Wie convenient können wir es den Kunden machen?“, sagt Christian von Sassen. Die Antworten kommen dann von Mitarbeitern in Vertrieb und Service, die konkrete Wünsche der OEMs sammeln und formalisiert beim Produktmanagement einreichen können. Nach der ersten Selektion können die Mitarbeiter ihre Idee in der Garage pitchen. Überzeugt die Idee, findet der zweite Pitch direkt vor dem Geschäftsführer statt. Steht nach den ersten Prototypen in Abstimmungen mit dem Requirements Engineering fest, was der Markt genau möchte, wird ein Angebot einschließlich Kosten und Entwicklungsdauer erstellt.

 

In der Klimakammer: Bei der Qualitätssicherung der Truma-Klimaanlagen und -Heizungen steht das Wohn- und Wohlgefühl im Mittelpunkt.
Foto: Truma

Auch bei der Qualitätssicherung steht der Kunde im Mittelpunkt. Sein Komfort, sein Wohn- und Wohlgefühl im Freizeitfahrzeug ist Dreh- und Angelpunkt der Produktentwicklung und Weiterentwicklung. Bei automatisierten Produkttests stützt sich Truma unter anderem auf Nutzerdaten. So nehmen die Mitarbeiter im Software-Testing vor allem die Smartphone-Modelle unter die Lupe, auf denen die getestete App am häufigsten installiert ist. „Die Wahrnehmung der Kunden ist das Maß der Dinge, nicht nur die Sensorik einer Messapparatur“, betont Wottrich. So finden neben den automatisierten Tests und Simulationen – etwa von Luftverwirbelungen  im Wohnraum des Reisemobils oder Wohnwagens – auch Checks mit realen Menschen statt: Feldtests, Paneltests, Fokusgruppen sowie Tests in der Klimakammer. Nur so können die Entwickler herausfinden, wie sich die Performance von Klimaanlage und Heizung im Fahrzeug wirklich anfühlt und auch anhört.

 

nexT: Trendscouts für neue Geschäftsmodelle

Zusätzlich hat Truma Anfang des Jahres ein besonderes Projektteam geschaffen, das als Ideenscout fungiert: das Innovation Lab „nexT“. Hier sitzen als Spin-off aus dem R&D-Bereich sechs der cleversten Ingenieure zusammen – Alter: 25 bis 55 Jahre. Sie parken woanders als die Kollegen, sind raus aus dem operativen Tagesgeschäft, screenen weltweit Technologien und Lösungen, um neue Geschäftsmodelle für den Camping-Markt der Zukunft zu erschließen. Das Team wurde als unternehmensübergreifendes Innovation Lab für die Branche ins Leben gerufen. Das Besondere: Es arbeitet mit einem Zeithorizont, der über die zwei Jahre des üblichen Truma-Produktentwicklungszyklus‘ weit hinausgeht.

Die sechs Ingenieure schrauben auch mal artfremde Produkte auseinander, um zu sehen, wie sie funktionieren. Derzeit stehen vor allem digitale Geschäftsmodelle, die den Alltag für Camper angenehmer machen, im Fokus. „Wir schauen nicht nur auf das Fahrzeug, sondern auf die komplette Camping-Branche“, sagt von Sassen. „Ziel muss es sein, attraktive Ziele und Übernachtungsmöglichkeiten zu schaffen.“

Mit der Truma iNet Box können Nutzer alle Truma-Geräte per App bedienen. Das System ist aber nur der Anfang: Truma arbeitet an einer umfassenden Bedienwelt, die das Campen digitaler, smarter und komfortabler macht.
Foto: Truma

Im Smart Mobile Home steuert die App den Komfort

„Convenience ist das Schlagwort“, bringt es von Sassen auf den Punkt. Der Camper will unterwegs keine Sorgen und Unsicherheiten und alle Infos an einem Ort haben. Die Lösung: eine Bedienwelt als Erklär- und Bediensystem, das über alles am und im Fahrzeug Bescheid weiß. Wie viel Wasser habe ich noch im Tank? Wie voll ist die Toilettenkassette? Wie funktioniert das mit dem Gas noch mal?

Eine Bedienwelt, die das Gesamtsystem des Freizeitfahrzeugs erfasst, ist in der Entwicklung. Zur Marktreife schweigt Chefentwickler von Sassen, aber es werden eher zwei als fünf Jahre sein. Der Markt sei groß: Power-Camper sind stets über den Status quo des Fahrzeugs auf dem Laufenden, Neulinge können leichter herausfinden, wie alles funktioniert. Das krempelt vor allem den Mietmarkt um, da langwierige Einführungen vor Ort im Fahrzeug wegfallen. Anstoß für die Idee war die Truma iNet Box, mit der Nutzer alle Truma-Geräte per App bedienen können. Die neue zentrale Steuerung soll nun sämtliche Geräte im Fahrzeug vernetzen. Eine solche Software bietet weitere Vorteile: Die gesammelten Nutzerdaten geben Auskunft über Verhalten und Bedürfnisse der Kunden. Die Daten helfen wiederum bei der Verbesserung der Software und des Systems. Updates können dann leicht aufgespielt werden. So will Truma von Service 2.0 auf 4.0 kommen.

Neue digitale Berufe: Was ist ein DevOps-Engineer?

Für diese digitale Transformation braucht Truma neue Köpfe. Da sind plötzlich Fähigkeiten gefragt, für die man erst eine passende Berufsbezeichnung finden muss. Beispiel: DevOps-Engineers, die Tools für die agile Entwicklung erstellen. Wo bekommt Truma solche Leute her? „Momentan schaffen wir es über den klassischen HR-Prozess“, so von Sassen. Auch die Zusammenarbeit mit Unis und Hochschulen spiele dem Unternehmen in die Karten – neben der Corona-Krise, die den Caravaning-Trend weiter anfeuert. So könne Truma damit werben: „Wir lieben Campen und Outdoor. Bei uns kannst du Teil neuer Lösungen für diese Urlaubsform werden.“

Auch die modernen, agilen Arbeitsmethoden und Raumkonzepte sollen dem Recruiting auf die Sprünge helfen und Bewerbern laut von Sassen signalisieren: „Hier kann ich mich voll entfalten.“ Gleichzeitig seien die Themen Familienunternehmen und flache Hierarchien auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor Incentives. So schreibt sich Truma bei den Unternehmenswerten auf die Fahne, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen – sei es der Kunde oder der Mitarbeiter. Beide will Wottrich in ihren Bedürfnissen ernst nehmen. „Im Familienunternehmen weiß man, für wen man arbeitet“, so Wottrich. Das stärke die Bindung der Mitarbeiter, sei aber auch eine große Verantwortung für den 37-jährigen Familienunternehmer.

In der Bibliothek des Truma-Technik- und Innovationszentrums: Lena Arndt (rechts im Bild) im Gespräch mit Chief Technology Officer Christian von Sassen (Mitte) und Truma-Pressesprecherin Jutta Bringazi (links).
Foto: Redaktion
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