> Interview mit Jens Kromer von Bürstner

„Deutsche Gründlichkeit und französisches Savoir-vivre"

13.06.2023
Text: Simon Ribnitzky | Bild: Daniel Schlicke

Der Geschäftsführer von Bürstner erläutert aktuelle Herausforderungen des badischen Unternehmens, Pläne für Elektro-Camper und die Vorteile der Nähe zu Frankreich.

RMI: Herr Kromer, die Hersteller von Wohnmobilen stehen vor zahlreichen Herausforderungen. Fehlende Chassis und stockende Lieferketten erschweren die Produktion. Wie ist die Situation aktuell bei Bürstner?

Jens Kromer: Die Chassis-Situation hat sich in den vergangenen Wochen leicht entspannt. Wie Sie wissen, bekommen wir Chassis und Basisfahrzeuge nicht nur von Fiat, also der Stellantis-Gruppe, sondern mittlerweile auch von Ford und wieder von Renault. Diese Diversifizierung hat es uns erlaubt, die Bänder weitestgehend auszulasten.

Bürstners Geschäftsführer Jens Kromer
Foto: D. Schlicke

Jens Kromer (55) ist seit 2015 Geschäftsführer der Marke Bürstner. Der gebürtige Schwabe lebte 30 Jahre in Frankreich (Schule/Studium) und kehrte vor 16 Jahren nach Deutschland zurück. Bevor er zu Bürstner kam, arbeitete Jens Kromer 23 Jahre in der Badmöbelindustrie in leitenden Positionen. Er ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Seit zwei Jahren besitzt er ein eigenes Reisemobil, einen Bürstner Lyseo TD 644, in dem er mit seiner Frau und zwei Hunden Europa bereist. Bürstner ist eine Marke der Erwin Hymer Group (EHG).

Die Preise für neue Wohnmobile sind in den vergangenen Monaten stark gestiegen. Was tut Bürstner, um für die Kunden trotzdem attraktiv zu bleiben?

Trotz aller Bemühungen, Kosten zu senken und Synergien für unsere Kunden zu nutzen, kommen auch wir nicht umhin, die gestiegenen Material- und Energiekosten an die Verbraucher weiterzugeben. Trotz steigender Preise bieten wir unseren Kunden aber ein entscheidendes Plus: den Wohnfühl-Faktor. Der Kunde kauft nicht nur ein Freizeitfahrzeug, sondern er kauft auch das Zuhause-Feeling für unterwegs. Gerade in Zeiten einer starken Gewichtung der Work-Life-Balance legen die Kunden eben auch viel Wert darauf, sich in ihrem Fahrzeug wohlzufühlen und diese Zeit in einer angenehmen Atmosphäre zu erleben. Das drückt sich in professionellen und pfiffigen Wohnkonzepten und vielen Detaillösungen aus, die das Fahrzeug wohnlich machen, und die es nur bei Bürstner gibt.

Ein Blick in die Zukunft: Wird sich die Situation im Lauf des Jahres verbessern? Werden Lieferketten wieder stabiler und weitere Preissprünge ausbleiben?

Das ist schwierig zu sagen. Heute einen Ausblick in die Zukunft zu wagen, fällt mir schwer, denn das hängt von so vielen Faktoren ab. Wir haben mit dem Krieg in der Ukraine gesehen, wie schnell sich die Liefersituation von Bauteilen ändern kann. Wir können aus wirtschaftlichen und menschlichen Gründen gleichermaßen nur hoffen, dass es eine baldige und stabile Lösung des Konflikts gibt. Gleichzeitig müssen wir uns aber auch darum kümmern, alternative Lieferanten in Europa zu finden und langfristig stabile Lieferketten aufzubauen.

Alkoven oder Teilintegrierer? Bürstners innovativer Lyseo Gallery, ein Teilintegrierter mit einem aufblasbaren Klapp-Alkoven über dem Fahrerhaus, verbindet die Vorteile beider Fahrzeuggattungen.
Foto: Redaktion

Trotz Engpässen bei Chassis und anderen Teilen hat Bürstner zahlreiche innovative Modelle wie den Lyseo Gallery mit Klapp-Alkoven präsentiert. Geht diese Strategie auf, oder wird es schwierig, diese Modellvielfalt in Serie zu produzieren?

Es stimmt, wir haben in den vergangenen Jahren kontinuierlich an Innovationen und neuen Modellen gearbeitet. Gleichzeitig aber auch bestehende Produkte dem Zeitgeist angepasst. Auch das schätzen unsere Kunden an Bürstner. Bei unserem Lyseo Gallery TD läuft gerade die Serienproduktion an, den Start mussten wir aufgrund der Chassis- und Teileversorgung leider mehrmals verschieben. Aber nun läuft sie, und ich freue mich schon auf die ersten Fahrzeuge auf den Straßen Europas. Modelle von Ford und Renault laufen auch in Serie und tragen natürlich zu einer höheren Modellvielfalt bei. Wir haben unsere Produktion mit verschiedenen modernen Methoden so optimiert, dass auch kleine Serien produziert werden können.

Elektro-Camper Lineo Electric auf Ford Transit
Foto: D. Schlicke
Nachhaltigkeit liegt
uns sehr am Herzen
Jens Kromer

Die EU hat das Aus für den klassischen Verbrenner beschlossen. Mit dem Lineo Electric hat Bürstner bereits einen E-Campervan vorgestellt. Was ist beim Thema alternative Antriebe bei Bürstner noch zu erwarten?

Pläne gibt es viele. Wir sind in diesem Bereich stark davon abhängig, was uns Ford, Fiat, Renault etc. liefern können. Natürlich beschäftigen wir uns mit Elektroantrieben. Der Druck und die Energie, die wir und die Basisfahrzeughersteller in diese Entwicklungen stecken, hing wesentlich davon ab, ob der Verbrennungsmotor wirklich 2035 verboten wird. Wir brauchen eine Alternative, und eine davon ist sicherlich der E-Antrieb. Auch die Diskussion um Varianten – zum Beispiel der Brennstoffzelle oder E-Fuels – verfolgen wir aufmerksam. Ich denke, im ersten Schritt wird die Elektrifizierung bei kompakten Fahrzeugen durchschlagen. Aber zum Beispiel für die Wohnmobile bieten die Chassis-Hersteller noch keine Fahrzeuge mit zufriedenstellender Reichweite an.

Welche Rolle spielt denn Nachhaltigkeit bei Bürstner in der Produktion?

Nachhaltigkeit liegt uns sehr am Herzen. Wir haben einige Ansätze im Werk in Kehl umgesetzt, wie das Recycling von Material, das im Produktionsprozess anfallen, und in eine zweite Nutzung überführt wird. Konzepte, die unnötige, teils nur einmalig eingesetzte Transportverpackungen reduzieren oder gar vermeiden, sind aktuell in der Prüfung. Wir haben seit Kurzem auch eine Hack-Schnitzelanlage und produzieren somit die Heiz-Energie aus Holz- abfällen der Produktion selbst vor Ort. Die Erwin Hymer Group (EHG) hat sich eine klimaneutrale Produktion zum Ziel gesetzt. Die Gruppe hat schon viel in dieser Richtung investiert. In den letzten drei Jahren hat die EHG ihren CO₂-Ausstoß um mehr als 50 Prozent reduziert. Unser nächstes Ziel ist, unsere Emissionen bis 2030 um weitere 50 Prozent zu verringern.

Bürstner setzt stark auf seine Nähe zu Frankreich. Neben dem Stammwerk in Kehl gibt es ein zweites Werk im Elsass. Was haben die Kunden davon?

Wirtschaftlich betrachtet nutzen wir mit unseren beiden Standorten den Arbeitsmarkt und dessen Kompetenzen um uns herum voll aus. Durch unser Zweitwerk in Wissembourg können wir unsere Produktion flexibel halten. Will heißen, dass zum Beispiel unser Urban Camper Copa auf Ford Transit Custom Basis relativ schnell verfügbar ist und nur kurze Lieferfristen kennt. Hervorheben möchte ich auch unsere Kooperation mit Dangel bei unserem Allrad-Campervan Campeo 4×4. Hier greifen wir auf jahrzehntelanges Umbauwissen von Fahrzeugen verschiedener Art zurück. Da ist es ein Vorteil und Glücksfall, dass wir einen so kompetenten Kooperationspartner direkt vor der Haustüre haben.

Infobox

Bürstner

Bereits Ende der 1950er-Jahre wurden die ersten Wohnwagen gebaut. An den Standorten Kehl und Wissembourg (Elsass) arbeiten heute mehrere Hundert Mitarbeiter. Bürstner produziert Wohnmobile, Campervans, Campingbusse und Wohnwagen. Viel Wert legt der Hersteller auf die Gestaltung des Interieurs, das zum „Wohn-fühlen“ einladen soll – so der Bürstner-Werbeclaim.

Bürstner-Stammwerk am Standort Kehl
Foto: Erwin Hymer Group Presseportal

Gibt es noch weitere Vorteile der Nähe zu Frankreich?

Außer diesen Aspekten ist die deutsch-französische Kultur unserer Mitarbeitenden und damit unseres Unternehmens ein weiterer Pluspunkt. Bürstner steht für Wohnfühlen sowie die Symbiose aus deutscher Gründlichkeit und französischem Savoir-vivre. Das hat natürlich einen starken Einfluss auf unsere Produkte und speziell die Interieur-Gestaltung.

Das bringt uns zur Abgrenzung innerhalb der Hymer-Gruppe. Wie positioniert sich Bürstner in der EHG?

Wir arbeiten in der EHG mit klaren Markenpositionierungen. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, hat jede EHG-Marke ihre Zielgruppenschwerpunkte und eine einzigartige Kernpositionierung. Wir sind die Wohnfühl-Marke. Unser Anspruch: Wir ermöglichen die schönsten Zuhause-Gefühle, die Menschen unterwegs haben können. Das ist in der Gruppe und in der gesamten Branche einzigartig.

Wie unabhängig können Sie Entscheidungen etwa zur Teilnahme an Messen treffen?

Was Messepräsenz angeht, gibt die EHG die große Linie vor, überlässt den einzelnen Marken jedoch die letztliche Entscheidung. Das gilt übrigens auch für die Entwicklung neuer Modelle. Die Zahl der Wohnmobile ist in den vergangenen Jahren massiv gestiegen, die Zahl der Stellplätze hat da nicht mitgehalten.

Was tut Bürstner für den Ausbau der Stellplatz-Infrastruktur?

Ja, die Zulassungszahlen sind in den vergangenen Jahren weiter gestiegen, und das Stellplatzangebot in Europa ist nicht nachgekommen. Es liegt teilweise an unterschiedlichen Bestimmungen und Auflagen, welche die Betreiber von Camping- und Stellplätzen in ihrer Entwicklung stark einschränken. Das ist schade. Aber wir sind mit Anbietern von Buchungsapps und -plattformen in Kontakt, die Stellplätze bei Privatleuten erschließen und vermitteln und die weiterwachsen wollen. Diese werden wir unterstützen. Viele unserer Kunden wollen authentisch reisen und sehnen sich nach naturnahen Stellplätzen in gewisser Entfernung zum Tourismus. Dazu leisten wir unseren Beitrag.

 

Das Interview mit Jens Kromer führte Simon Ribnitzky.

Redaktion
Simon Ribnitzky
Simon Ribnitzky ist seit August 2019 Teil des Teams der Reisemobil International und wurde 2022 Chefredakteur.
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